"Exposed" ist das filmische Portrait einer jungen Frau namens Katherine
Devoir, die aufgrund ihrer Krankheit "Multiple Chemical Sensitivity"
völlig
aus den normalen gesellschaftlichen Strukturen heraus gefallen ist. Heidrun
Holzfeind hat sie mehrfach in ihrem Haus in Western Massachusetts besucht und
interviewt. Entstanden ist ein essayistisches Video, das den individuellen
Krankheitsverlauf der Protagonistin und ihre jeweiligen Kontexte über
einen längeren Zeitraum dokumentiert. "Exposed" weist allerdings über
die herkömmliche Machart eines Dokumentarfilms hinaus, da die Künstlerin
verschiedenes Filmmaterial wie Found Footage, eigenes Videomaterial und Interviews
mit von Katherine selbst gefilmten Hi8-Videosequenzen verschränkt. Die
verschiedenen filmischen Materialien, ausgewählte Musik und die Overvoice
der Protagonistin kommentieren sich gegenseitig sowohl auf visueller, als auch
auf sprachlicher und Sound-Ebene. Anders als im klassischen dokumentarischen
Diskurs, der die autorisierende Indexikalität der Dokumentation vertritt,
werden in "Exposed" sowohl dokumentarisches, als auch autobiografisches
Filmmaterial verwendet und zu einer subjektiven Objektivierung der Zusammenhänge
geführt. Die Erzählerstimme von Katherine und deren Omnipräsenz
in den verschiedenen filmischen Materialien bilden hierbei ein zentrales Merkmal
der Arbeit.
Das Video beginnt mit mehreren Found Footage Werbeclips aus den fünfziger
und sechziger Jahren, die die Erfindung neuer Substanzen und Werkstoffe aus
chemischen Zusammensetzungen glorifizieren. Dinge des täglichen Gebrauchs
wie Plastikgerätschaften, Haarspray, Zahnpasta oder neuartige Techniken
maschineller Fertigung von Konsumprodukten versprechen wirtschaftlichen Aufschwung,
Erleichterung im täglichen Leben und die Freiheit, mit diesen scheinbar
unbegrenzten Möglichkeiten der neuen Produktwelt sein eigenes 'modernes'
Leben individuell zu gestalten. Das kapitalistische Wertesystem wird in diesen
kurzen
Ausschnitten mittels technisch und chemisch hergestellter 'Innovationen' illustriert,
die die Utopie einer besseren Welt anhand von gleichzeitig voranschreitender ökonomischer
und gesellschaftlicher Prosperität symbolisieren. Die dazugehörige
Message richtet sich an das Individuum, das diese Welt sowohl am Leben erhält,
als auch von ihr ‚profitiert’. Dementsprechend lautet der Slogan,
den die Overvoice in den Werbeclips ausspricht: "This world of the molecule
belongs to us all. It is yours to explore".
Was vor einigen Dekaden noch als Sensation begriffen wurde, ist heute Normalität.
Die Werbeindustrie wirbt weiterhin mit immer wieder erneuerten Varianten von
Produkten, die dem Käufer Imageverbesserung oder Entlastung vom Stress
des alltäglichen Lebens versprechen. Zwar werden sie dank ökologischer
Studien oder neuen Health-Trends nicht mehr so eindimensional begriffen wie
damals, dennoch kann man sagen, dass die grundlegende Nachfrage und der Gebrauch
synthetisch hergestellter Produkte und die damit einhergehende Umweltverschmutzung
ungebrochen existent (und normal) ist.
Vor diesem Hintergrund wird Katherine Devoir, die Protagonistin in "Exposed",
eingeführt: eine 35-jährige amerikanische Tänzerin, die an "Multiple
Chemical Sensitivity" (MCS) erkrankt ist. MCS entsteht durch die jahrelange
Einwirkung von Umweltgiften auf den Körper und kann sich bei individueller
Disposition zu einem chronischen Krankheitsbild entwickeln. Das Krankheitsbild
zeichnet sich dadurch aus, dass es für die Erkrankten höchst schädlich
ist, mit synthetisch hergestellten Substanzen, wie etwa Pestiziden, Parfum,
Baumaterialien, Teppichen, Farben, Abgasen, Putzmitteln, Belüftungsanlagen,
Tabakrauch oder Nahrungszusätzen in Berührung zu kommen, da diese
eine massive Störung der multiplen Körperfunktionen auslösen.
Katherine steht vor ihrem Haus mitten im Wald, das wie ein Wochenendhaus aussieht
und stellt sich vor: "My name is Katherine and this is where I live.
I live here since three years and before that I spent twelve years in New York.
Before I got sick, I was like normal. I could do anything I wanted." Es
folgen Ausschnitte aus homemade Videos und Fotografien von Katherine aus den
Neunziger Jahren, auf denen sie sich selbst bei Tanz-Übungen in ihrer
Wohnung, rauchend am Computer arbeitend oder auf Achse mit einer Freundin gefilmt
hat. Diese tagebuchartigen Hi8-Aufnahmen von Katherine sind innerhalb einer
Zeitspanne von etwa den letzten zehn Jahren entstanden. Zuerst verwendete sie
sie als Kontrollmittel für ihre Tanzübungen, später wurden sie
zum Medium autobiografischer Dokumentation ihres Krankheitsverlaufs und ihrer
Befindlichkeit. Diese Sequenzen sind zum Teil sehr emotionsgeladen und ziehen
sich wie ein Gerüst durch das ganze Video. Katherine vermittelt in diesen
Ausschnitten anfänglich das Bild einer emphatischen Künstlerin, die
ihr Leben nach eigenen, fast 'bohèmehaft' anmutenden Maßstäben
gestaltet; später sind sie geprägt von der Frustration und dem Zorn
gegenüber der Krankheit und ihrer Konsequenzen. Die Overvoice von Katherine
schildert im Folgenden, durch welche äußeren Einflüsse sich
ihre Sensibilität gegenüber synthetischen Stoffen herausgebildet
und sich ihr Gesundheitszustand, ohne dass sie verstand was ihr fehlte, rapide
verschlechtert hat. Man erfährt, dass die Krux bei der Erkennung und Heilung
der Krankheit ist, dass ihr meist Fehldiagnosen aufgrund von Unwissenheit oder
Abwegigkeit vorangehen und durch die daraus folgende falsche Verabreichung
von (chemisch hergestellten) Medikamenten nur verschlimmert wird. Die Symptome
der Erkrankten sind etwa neben vielen anderen: Atembeschwerden, Konzentrationsschwierigkeiten,
Halsentzündungen, Angstattacken, Vergesslichkeit, Migräne, Gelenk-
und Muskelschmerzen und allgemeine Schwäche und Antriebslosigkeit. Zudem
treten Übersensibilität gegenüber Gerüchen, Geräuschen,
Licht, Berührung und elektromagnetischen Feldern auf. MCS macht es den
Erkrankten unmöglich, in einer 'normalen', Umgebung zu leben.
Dies hat eine zwingende Marginalisierung aus dem gewohnten Umfeld zur Folge
und macht völlig auf die Krankheit zugeschnittene Umstände (lebens)notwendig.
Diese verlangen eine fast vollständige Isolation vom normalen gesellschaftlichen
Alltag auf allen denkbaren Ebenen.
Eindrücklich zeigt dies eine Szene, in der Katherine (wieder in einem
selbst aufgenommenen Video) einem Freund am Telefon mitteilt, welche Konsequenzen
ihre bis dato nicht erkannte Krankheit hat. Weinend realisiert sie, dass sie
ohne Atemmaske nicht das Haus verlassen kann und wie schwer es ist, ihrem Freund
zu vermitteln, dass sie nicht nur einfach eine schwere Erkältung hat und
total überreagiert. Die Emotionalität der Szene und die Tatsache,
dass Katherine sich bei dieser Schlüsselszene selbst dokumentiert hat,
zeigen, dass Heidrun Holzfeind die von Katherine selbst gefilmten Sequenzen
bewusst einsetzt, um die Komplexität des Themas aus der subjektiven Perspektive
Katherines’ zu schildern. Katherine begreift in diesem Moment, dass sie
aufgrund ihrer Krankheit ein völlig neues Lebenskonzept entwerfen muss:
"I now had to ignore what the doctor says and what everybody believes, and
start
depending on my own instincts." Die Unausweichlichkeit, mit der in "Exposed"
die Konsequenzen der Krankheit geschildert werden, zeigt sich als eine Realität,
die aus bestimmten Symptomen einer industrialisierten und kapitalistischen
Gesellschaft resultieren. Katherine muss die Realität ihrer eigenen Symptome
nun an der Realität messen, der sie zuvor noch angehört hat. Katherine:
"The psychology of a human beeing is to fit in and to be part of culture -
generally
speaking. Like we want to have friends, (...) we want to participate, we want
to be useful. And then, when you get sick like this, that’s all taken
away. You know that you have an invisible illness, you know everything you
say sounds neurotic because you look fine. The way that you cope with this
illness is to go into a coping state. So you are always in a plcae of: I get
reality but I have to step aside from what I know to live; to be able to smile."
Diese gesellschaftliche Realität wird nun einerseits von Katherine selbst
in den Interviews mit Heidrun Holzfeind beschrieben – andererseits werden
sie durch die immer wiederkehrenden Found Footage Werbeclips als 'gesellschaftlicher
Usus' repräsentiert. Katherine dagegen verliert ihren Job, ist auf
staatliche Unterstützung angewiesen, kann nicht wohnen und hingehen wo
es ihr beliebt und verliert ihre Freunde, die sich dadurch entschuldigen, dass
sie ihnen zu real geworden sei. Ihre nicht selbst verschuldete gesellschaftliche
Ausgrenzung ist gleichzeitig ein Scheitern an eben diesen Strukturen. Das Scheitern
stellt jedoch in unserer Gesellschaft eines der großen modernen Tabus
dar. "Exposed" verhandelt in diesem Sinne Marginalisierung durch
Inkompatibilität zur Gesellschaft als Politikum.
Die Repräsentantin dieser Schieflage ist in diesem Falle die Protagonistin
selbst; so fasst sie etwa die Realisierung ihrer Situation nach einer Odyssee
auf der Suche nach den Ursachen ihrer Krankheit folgendermaßen zusammen:
"…That
day: everything was very different. I couldn’t pretend another minute
that it was me, that it was psychological, that I can deal with this. I was
pushed way past the point that I could justify, rationalize or use any one
of the million rationalizations that this culture feeds in, talks about and
lives in every day. That’s why I was saying that what I want to be true
and what this world tells me is true, has no bearing on reality. Reality is
what is; it’s a separate thing. I am chemically sensitive. There is nothing
I can do about it. (...) That’s why I said it took my ego…" Auf
der anderen Seite stellt Heidrun Holzfeind der individuellen Sicht Katherines’ Ergebnisse
aus wissenschaftlichen Untersuchungen gegenüber, die beispielsweise besagen,
dass etwa 15% der amerikanischen Bevölkerung eine Sensibilität gegenüber
chemisch hergestellten Stoffen aufweisen. 4% der amerikanischen Bevölkerung
leiden an MCS – 80% davon sind Frauen. In weiteren Sequenzen ist zu sehen,
dass Mäuse, nachdem sie Parfum oder Airfreshener ausgesetzt wurden, unter
Lähmungserscheinungen leiden. Diese Fakten werden nur noch getoppt durch
der Aussage von George W. Bush , der den Umweltschutz als ökonomisch unprofitabel
und als belastend für den Staatshaushalt bezeichnet. Obwohl jeder einigermaßen
informierte Mensch versteht und weiss, welche Auswirkungen chemische Stoffe
auf die Umwelt haben, oder mit welchen Nebenwirkungen bei medikamentöser
Behandlung zu rechnen ist, bleibt das Ausmaß und die Vielfältigkeit
der uns umgebenden und bestimmenden Chemikalien eine abstrakte Größe. "Exposed" verweist
durch die extreme Situation, in der sich Katherine befindet, auf den Nullpunkt.
Es ist eine Situation, die nicht aus dem Willen zu einem bestimmten individuellen
Lebensstil entwickelt wurde, sondern ungefragt ein prä-technisiertes Schlupfloch
im bestehenden Kapitalismus einfordert.
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